Gaskrieg

Deutsche Medien sitzen Gasprom-Propaganda auf

Wir hören immer wieder, daß das Erdgas in Europa, besonders in Osteuropa, knapp wird, weil sich Rußland (als Lieferant für das Gas) und die Ukraine (als Transitland dafür) nicht auf einen Preis für die Durchleitungsgebühren bzw. für in die Ukraine geliefertes russisches Erdgas einigen können. Diese von den deutschen Medien verbreitete Sichtweise ist oberflächlich und sucht die Schuld bei der Ukraine, da die Behauptung von Rußland, die Ukraine würde „Gas abzapfen“ oder „stehlen“ von den Medien unkritisch übernommen wurde.

Rußland verfolgt in diesem Konflikt mehrere strategische Ziele.

Erstens: Die Ukraine muß in den Augen Europas als unzuverlässiger Partner für den Transit von Gas dargestellt werden. Dazu bedient sich der russische Staatskonzern „Gasprom“ zahlreicher für ihn arbeitender europäischer und us-amerikanischer PR-Agenturen, welche das Bild von der „Gas stehlenden Ukraine“ in die Medien bringen. An der Propagandafront hat die Ukraine ungleich schwächere Möglichkeiten. Die europäischen Medien übernehmen dieses Bild nahezu nahtlos von den PR-Agenturen.
Das Ziel ist, die Ukraine als selbstständiges Gastransitland auszuschalten, um die Monopolstellung von „Gasprom“ weiter auszubauen. Ohne die Ukraine gibt es übrigens keine Möglichkeit auf kurzem Wege an Gas aus Zentralasien, z.B. aus Turkmenistan zu gelangen.
Hier kommen die von Rußland geplanten neuen Pipelines „Nord-Stream“ und „South-Stream“ ins Spiel. Deren Realisierung ist durch die Finanzkrise wieder fragwürdig geworden. Was liegt als näher, als der EU durch die Gaskrise die Notwendigkeit der die Ukraine umgehenden Pipelines vor Augen zu führen?

Zweitens: Kein Nachgeben gegenüber der ungeliebten „Orange“-Regierung in Kiew.
Die regierenden Kräfte in Kiew, die größtenteils als liberal-konservativ einzustufenden Kräfte in der Fraktion „Unsere Ukraine – Selbstverteidigung des Volkes“ des Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko und die eher sozialdemokratisch bis gemäßigt national-populistisch orientierten Parteien im „Block Julija Timoschenko“ (BJUT) der gleichnamigen Regierungschefin gilt es unter Druck zu setzen. Die Koalition der einstmals Verbündeten wird nur noch mit Hängen und Würgen zusammengehalten und überlebt nur durch die Unterstützung des „Blockes Wladimir Litwin“, der kleinen, Rußland gegenüber eher freundlich bis neutral orientierten Fraktion des Parlamentspräsidenten Litwin.
Je unpopulärer die beiden „orangenen“ Parteien im Volk werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Sieges der pro-russischen Opposition, welcher Sicherheit für den Weiterbestand des Militärstützpunktes der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim garantieren würde.
Präsident Juschtschenko hat sich in Moskau mit seinem Kurs in Richtung NATO-Mitgliedschaft unbeliebt gemacht, zudem schlug er sich im russisch-georgischen Krieg im August 2008 auf die Seite Georgiens und wollte russischen Kriegsschiffen das Wiedereinlaufen in „ihren“ Stützpunkt auf der Krim verbieten.
Die Premierministerin Julija Timoschenko, die seit einiger Zeit versucht, ein besseres Auskommen mit Rußland zu erzielen und über die Frage des NATO-Beitritts einen Volksentscheid anstrebt (wohl wissend, daß dieser keinen Erfolg verspricht), hat es sich anderer Stelle mit Rußland verscherzt. Die wortgewaltige Politikerin, die sich in den Wirren der Gas- und Erdölgeschäfte bestens auskennt, forderte schon von Anbeginn ihrer Regierung die „Eliminierung der dubiosen Zwischenhändler“ und meint damit die Firma „RosUkrEnergo“, welche den Gashandel zwischen der Ukraine und Rußland kontrolliert. Timoschenko will die Firma durch ein zahmeres Staatsunternehmen ersetzen. „RosUkrEnergo“ gehört zu 45% dem ukrainischen Geschäftsmann Dimitri Firtasch und seinem Geschäftspartner Iwan Fursin (5%). 50% hält aber der russische Staatskonzern Gasprom an dem Unternehmen. RosUkrEnergo hämmert sich also auch noch seinen Profit von den Gaspreisen, welche die Ukraine an Russland zu zahlen hat, ab und Gasprom verdient dabei noch ein weiteres Mal. Dies treibt natürlich die Gaspreise für die Ukraine weiter in die Höhe.
Auch Präsident Juschtschenko soll hervorragende Kontakt zu „RosUkrEnergo“ haben und ihm sind die Aktivitäten seiner Premierministerin natürlich ein Dorn im Auge. Auch deshalb versuchte er Timoschenko im Herbst 2008 vergeblich abzusetzen und beide Kontrahenten beschuldigten sich wechselseitig der „Korruption“.



Drittens: Ziel Rußlands ist es auch, den ukrainischen Staatskonzern „Naftogas“, der die Pipelines auf ukrainischer Seite betreibt, in den Bankrott zu treiben, um danach das ukrainische Pipelinenetz durch Gasprom zu übernehmen. Die Forcierung von „Nord-Stream“ und „South-Stream“, wie die Diskreditierung der Ukraine als zuverlässiger Gaslieferant für Europa würde dazu beitragen. Rußland hat – zumindest vorläufig - ein Interesse am Erhalt von „RosUkrEnergo“ als Zwischenhändler, um über diese Firma dafür Sorge zu tragen, daß Gas aus Zentralasien auch in Zukunft nur über Gasprom und nicht über andere Ölkonzerne nach Europa geliefert wird.

Viertens: Vorgehen gegen niedrige Erdölpreise! Die Preise für Erdöl sind derzeit niedrig, gleichzeitig geht die Menge des in Rußland geförderten Erdgases offenbar immer mehr zurück. Wenn weniger Gas fließt, wechseln die Europäer, in den Bereichen, wo es technisch möglich ist, zum Erdöl. Dies erhöht die Nachfrage und damit den Preis, was wiederum den Gaspreis erhöht, da beide eng miteinander verbunden sind, so Volodymyr Saprykin, Direktor der Energieprogramme vom „Rasumkow“-Zentrum.

Die Regierung Julija Timoschenkos sucht nun nach Auswegen. Kürzlich wies sie die Industrie an, ihre Energieversorgung von Gas auf Masut, einen Destillationsrückstand des Erdöls, umzustellen und erleichterte die Regeln für den Erwerb von Masut. Obwohl die Umstellung offenbar problemlos erfolgte, reichen die ukrainischen Masut-Vorräte nicht hinten und vorn.

Die Verhandlungen mit Rußland laufen, werden wieder abgebrochen, wieder aufgenommen... Wie weit Rußland das Spiel noch treiben will, ist nicht klar. Auch halten sich die Russen nicht an das, von den Regierungschefs beider Länder unterzeichnete Memorandum, daß eine stufenweise Preiserhöhung für russisches Gas vorsah. Stattdessen fordert Gasprom nun gleich den vollen Preis.
Die Ukraine hat laut Oleksandr Todijchuk, dem Präsidenten des internationalen „Kiew-Enrergie-Klubs“ bereits 70 Mio. Kubikmeter Gas aus eigenen Speicherungs- und Lagerstätten genutzt, um den Transport in die EU sicherzustellen.

Wie kann dieser Konflikt gelöst werden? Durch ein Einknicken der Ukraine vor der willkürlichen Preispolitik von Gasprom? Wird Rußland nicht dadurch noch ermutigt, genauso weiter zumachen? Zumal es in Litauen bald ebenfalls einen Energie-Konflikt mit Rußland geben könnte.
Fest steht, und dies wurde auch nach dem russischen Einmarsch in Georgien deutlich, Moskau betreibt eine Hegemonialpolitik genau wie Washington. So wie die USA jahrzehntelang Lateinamerika als ihren „Hinterhof“ betrachteten und glaubten, bestimmen zu können, was dort zu geschehen habe, so sehen auch die Russen die ehemaligen Sowjetrepubliken als ihr Einzugsgebiet und sprechen ihnen jedes Recht auf einen eigenen politischen Weg ab.



Kay Hanisch