Nachruf Norodom Sihanouk

Nachruf


Norodom Sihanouk – Vorkämpfer für Neutralismus und Frieden

Am 31. Oktober 2012 wäre der frühere kambodschanische König Norodom Sihanouk 90 Jahre alt geworden, doch er verstarb 15 Tage vor seinem Geburtstag.
1941 setzte die französische Kolonialmacht den 19-jährigen Sihanouk auf den Königsthron, weil sie glaubte, mit dem unerfahrenen Jüngling eine perfekte Marionette zu haben. Doch schnell entwickelte dieser ungeahnte politische Fähigkeiten, arrangierte sich mit den in Indochina siegreichen Japanern und nach dem Krieg wieder mit den Franzosen, denen er Schritt für Schritt die Unabhängigkeit seines Landes abtrotzte. Die endgültige Unabhängigkeit Kambodschas erreichte Sihanouk 1953, wobei er den Franzosen drohte, sich mit den Kommunisten zu verbünden, wenn Paris weiter an Kambodscha als Kolonie festhält.
Auf dem Höhepunkt seiner Popularität dankte Sihanouk 1955 als König ab, überließ seinem Vater den Thron und gründete die Volkssozialistische Gemeinschaft (Sangkum), eine Partei, die einen „sozialistischen Buddhismus“ anstrebte – ähnlich wie Premierminister Nehru in Indien. Mit einem fulminanten Wahlsieg wurde die Sangkum im gleichen Jahr stärkste politische Kraft und Sihanouk der neue Premierminister. Damit hatte er viel größeren Gestaltungsspielraum als in der eher zeremoniellen Funktion des Königs.
Innen- wie außenpolitisch verfolgte Sihanouk einen Kurs der politischen Neutralität und nationalen Unabhängigkeit. Außenpolitisch äußerte sich dies z.B. in einer Schaukelpolitik zwischen Ostblock und Westmächten. Auch war Sihanouk neben Indonesiens Staatschef Sukarno, Ägyptens Nasser, Jugoslawiens Tito und Nehru aus Indien einer der führenden Köpfe bei der Gründung der weltweiten Bewegung der Blockfreien Staaten.
Innenpolitisch versuchte Sihanouk die Balance zwischen den politischen Extremen zu halten, in dem er sowohl linke als auch rechte Politiker auf der Liste der Sangkum kandidieren ließ und im Zweifelsfall den politischen Schiedsrichter spielte.
Wichtige Wirtschaftszweige ließ er verstaatlichen. 1960 starb Sihanouks Vater – offenbar auch an den Spätfolgen eines US-amerikanischen Bombenanschlages der eigentlich Sihanouk gegolten hatte – und diesem fiel wieder der Königsthron zu. Sihanouk wurde wieder Staatsoberhaupt, verzichtete aber auf den Königstitel.

Den USA mißfiel die unabhängige Außenpolitik Kambodschas und der US-Botschafter versuchte Sihanouk ziemlich plump – zuerst mit Geld, dann mit politischem Druck – in das US-Lager zu nötigen. Damit biß er aber auf Granit und führte eine Verschlechterung der kambodschanisch-amerikanischen Beziehungen herbei. Im Vietnam-Krieg bemühte sich Sihanouk ebenfalls um Neutralität, erlaubte aber dem Vietcong Schleichwege über kambodschanisches Territorium zu nutzen.
Die USA rächten sich mit einem grausamen Flächenbombardement des neutralen Landes, welches zehntausende zivile Opfer forderte. Die Gummibaum-Plantagen wurden mit Napalm niedergebrannt, tausende Tonnen Glasscherben wurden über den Reisfeldern abgeworfen, damit sich die barfüßigen Bauern und die Wasserbüffel ihre Füße zerschneiden und nicht auf den Feldern arbeiten können. Alles, nur um die kambodschanische Wirtschaft zu ruinieren und den Sturz Sihanouks zu befördern!
Als selbst diese Maßnahmen nichts brachten, inszenierte die CIA 1970 einen Putsch durch den rechten Premierminister General Lon Nol und den intriganten Prinzen Sirik Matak, der im Volk noch unbeliebter als Lon Nol war. Beide erklärten das Ende der Monarchie, riefen die „Khmer-Republik“ aus und ließen Sihanouk, der sich gerade auf einer Auslandsreise befand, zum Tode verurteilen.
Als sich die Parlamentsabgeordneten weigerten, den Putsch gutzuheißen, ließ Lon Nol Panzer vor dem Gebäude auffahren. Ergebnis: 83 von 86 Abgeordneten segneten plötzlich den Umsturz ab.

Die Volksrepublik China nahm Prinz Sihanouk und dessen Familie in Peking freundschaftlich auf und finanzierte ihm eine große Residenz. Offenbar angestachelt durch die chinesische Führung kündigte Sihanouk die Gründung einer Exilregierung des Widerstandes an. Die Chinesen stellten einen Kontakt zur kambodschanischen kommunistischen Volkspartei (Pracheachon) her. Ihre Kader hatten zu Beginn der 60iger Jahre Sihanouks Regierung verlassen und kämpften schon seit Jahren ohne großen Erfolg im Dschungel für einen kommunistischen Staat. Einer ihrer führenden Köpfe, Khieu Samphan, war unter Sihanouk kurzzeitig Minister gewesen. Sihanouks Anhänger vom „linken“ Sangkum-Flügel bildeten breites ein Bündnis mit den Kämpfern der Pracheachon, und den Organisationen von Intellektuellen, ethnischen Minderheiten, Bauern, Arbeitern, Mönchen etc.. Der militärische Arm dieses Bündnisses, die FAPLNK, in dem die Kommunisten den Ton angaben, bekam massiven Zulauf durch die zahlreichen Anhänger Sihanouks aus der Bauernschaft.

Das Lon-Nol-Regime erwies sich als unfähig und korrupt. Es erklärte seine Kriegsteilnahme in Vietnam auf Seiten der USA. In Kambodscha ließ es Monarchisten, Linke und Liberale gleichsam verfolgen und zeichnete sich für grausame Massaker an der vietnamesischen Minderheit verantwortlich. Den Partisanen der „königlich-kommunistischen“ Guerilla-Armee hatte das morsche Regime nichts entgegenzusetzen und kassierte eine Niederlage nach der anderen. Es dauerte nicht lange, da kontrollierten die USA und ihre Marionette Lon Nol trotz eines brutalen Bombenkrieges, für den sich der spätere „Friedensnobelpreisträger“ Henry Kissinger zu verantworten hat, nur noch die Hauptstadt Phnom Penh und ein paar große Überlandstraßen.

1975 war alles vorbei. Die USA flogen Lon Nol aus, in Laos und Vietnam siegten die Kommunisten und auch in Kambodscha marschierten die Widerstandskämpfer der Königlichen Regierung der Nationalen Einheit (FUNK) in die Hauptstadt ein. Es wird wohl nie ganz geklärt werden, was in dieser Zeit und den nachfolgenden Jahren passiert ist. Wie es eine zahlenmäßig kleine radikal-kommunistische Gruppe innerhalb der FUNK schaffen konnte, derartig die Macht an sich zu reißen und alle anderen auszubooten. Wie es überhaupt möglich war, daß diese kommunistische Gruppe von Kambodschanern (Sihanouk verwendete den Begriff „Rote Khmer“ für sie), die in den Jahren des Widerstandes 1970-75 selbst am Regierungsprogramm der FUNK mitgearbeitet hatten und sich durch vernünftige Ansichten auszeichnete – wie diese Gruppe plötzlich das ganze Land in einen revolutionären blutigen Amoklauf stürzte und eine der schlimmsten Diktaturen des 20. Jahrhunderts errichtete.

Formal diente Sihanouk diesem Regime, daß ihn quasi zur Geisel machte, im ersten Jahr noch als machtloses Staatsoberhaupt und diplomatisches Feigenblatt, bis er 1976 zurücktrat und mit seiner Frau im Königspalast unter Hausarrest gestellt wurde. Das Regime der Roten Khmer, dessen offizieller Führer Khieu Samphan, aber dessen wirklicher Herrscher im Hintergrund der geheimnisvolle Saloth Sar alias Pol Pot gab, war, errichtete einen steinzeitkommunistischen Bauernstaat und ließ die Stadtbevölkerung aufs Land zwangsumsiedeln. Über eine Mio. Kambodschaner kamen in den knapp vier Jahren der Pol-Pot-Herrschaft um, Sihanouk überlebte nur, weil China den Roten Khmer klarmachte, daß es seine Ermordung nicht dulden werde.

Nach Grenzkonflikten mit Vietnam überrannte die vietnamesische Armee 1979 die Stellungen von Pol Pots Kindersoldaten, die Chinesen flogen Sihanouk aus Phnom Penh aus. Im Pekinger Exil zimmerte er sofort wieder eine Exil-Regierung aus Monarchisten, Republikanern und Kommunisten zusammen, die militärischen Widerstand gegen die nun folgende zehnjährige vietnamesische Besatzung organisierte.

1991 unterzeichneten die Bürgerkriegsparteien dann ein Friedensabkommen und die UNO entsandte eine große Friedensmission in das Land. Sihanouk wurde als „Vorsitzender eines Obersten Nationalrates“ provisorisches Staatsoberhaupt.

Die Wahlen von 1993 brachten ein politisches Patt hervor. Obwohl die von Sihanouk noch im Exil gegründete und mittlerweile von seinem Sohn Prinz Norodom Ranariddh geführte Vereinigte Nationale Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und solidarisches Kambodscha (FUNCINPEC) mit 58 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft im Parlament wurde, weigerte sich der seit 1985 amtierende pro-vietnamesische Premierminister Hun Sen (Kambodschanische Volkspartei CPP, 51 Sitze) die Macht abzugeben. Da Hun Sen und seine Anhänger den Sicherheitsapparat und das Militär kontrollierten, saß er letztlich am längern Hebel.
Doch auch hier fand Sihanouk eine für ihn typische Lösung und erklärte sich – der 1955 abgedankt war und 1960 abermals auf den Königstitel verzichtet hatte – zum neuen alten Monarchen von Kambodscha und ernannte Ranariddh zum Ersten, Hun Sen zum gleichberechtigten zweiten Ministerpräsidenten.
Doch die beiden zerstritten sich schnell und 1997 putschte Hun Sen den Prinzen aus dem Premiersamt und regierte mit einem loyalen FUNCINPEC-Flügel weiter. König Sihanouk, dessen Amt auf rein repräsentative Aufgaben beschränkt war, mißbilligte zwar den Putsch, konnte aber nichts unternehmen. Ohnehin hielt er sich nunmehr größtenteils zur medizinischen Behandlung in Peking auf, denn er litt an Bluthochdruck, Darmkrebs und Diabetes. Dennoch setzte er sich weiter für sein Land ein und war z.B. treibender Keil bei der Durchsetzung neuer schärferer Umweltschutzgesetze, mit denen der Raubbau am Regenwald bekämpft werden sollte.
Ranariddh verschanzte sich mit ein paar hundert loyalen Soldaten im Urwald und suchte das Bündnis mit den letzten kämpfenden Resten der Roten Khmer gegen Hun Sun.

Im Jahre 2004 dankte Sihanouk dann aus gesundheitlichen Gründen endgültig ab und überließ seinem Sohn Norodom Sihamoni, der Kambodscha bisher als UNESCO-Botschafter gedient hatte, den Thron. Nach und nach zog sich Sihanouk immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück, kommunizierte fast nur noch über seine Internetseite mit der Öffentlichkeit. Auch der Postkontakt zum Autor dieses Artikels erlahmte.

Am Morgen des 15. Oktobers 2012 ist Norodom Sihanouk friedlich eingeschlafen. Kambodscha verliert mit ihm nicht nur den „Vater der nationalen Unabhängigkeit“ sondern auch den für das Land wohl bedeutendsten Politiker des 20. Jahrhunderts, der immer wieder bestrebt war, zwischen extremen politischen Standpunkten auszugleichen und Bündnisse weit über ideologische Grenzen, angetrieben vom gemeinsamen Anliegen für das Gemeinwohl, zu schmieden.

Kay Hanisch
31. Oktober 2012