Quo vadis, Haiti?

Die Rückkehr des "kleinen Aristide"

13.2.2006. Schon bevor die Wahl gelaufen war, gab es einen klaren Favoriten für das Amt des Staatspräsidenten in dem gebeutelten Karibikstaat Haiti: René Preval, der dieses Amt bereits von 1996-2001 innehatte. Der 63-jährige Agraringenieur gilt als enger Vertauter des 2004 gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Nachdem die UNO versucht hat, mit einer Militärintervention Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach Haiti zu bringen, muß sie nun erkennen, daß sie gescheitert ist. Nach wie vor beherrschen bewaffnete Banden das Land. In viele Elendsviertel von Port-au- Prince wagen sich die UN-Truppen der MINUSTAH bis heute nicht. Die Wahl ist eine willkommene Gelegenheit für die UNO, die Verantwortung auf eine neue Regierung abzuwälzen.

Haiti ist ein Trümmerhaufen. Bereits 1804 erklärte es sich für unabhängig, mußte aber extrem hohe „Entschädigungszahlungen“ an die französische Kolonialmacht zahlen. Damit ist schon der Grundstein für die heutige Rückständigkeit des Landes gelegt worden. Wegen Brennstoffmangels wurden später die Wälder abgeholzt, was zur Erosion führte. Niedrige Ernteerträge und Schlammlawinen nach Regenfällen sind dadurch an der Tagesordnung. Kein Land in Amerika (außer eventuell Bolivien) hat derart viele Unruhen, Umstürze und Instabilität erlebt wie Haiti. Erst die blutrünstige Voodoo-Diktatur des Duvallier-Clans (1957-86) brachte eine gewisse Stabilität, setzte den wirtschaftlichen Niedergang des Landes aber weiter fort. Nach kurzen Intermezzos ziviler und militärischer Herrscher wurde 1991 in den ersten freien Wahlen der Armenpriester Jean-Bertrand Aristide, ein Anhänger der linken Befreiungstheologie, zum Präsidenten gewählt. Damals unterstützte ihn ein Bündnis linker Splitterparteien und seine Wahlhilfe-Bewegung Lavalas („Die Lawine“). Als Aristide die Menschenrechtsverletzungen der Duvallier-Diktatur aufarbeiten will und gegen die Korruption vorgeht, stürzt ihn das Militär unter Generalleutnant Raoul Cédras nach acht Monaten. Unter dem Druck der USA übergibt Cédras aber 1994 wieder die Amtsgeschäfte an Aristide, der schon bald von seinen hehren demokratischen Zielen Abstand nimmt. Da die Verfassung die unmittelbare Wiederwahl des Präsidenten verbietet, trat 1996 der Aristide-Anhänger René Preval das Amt an. Obwohl er zum Schluß per Dekret regierte und man ihm auch autoritäres Gebaren vorwarf, kann er mit einer Superlative aufwarten: er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Haitis seit 1804, der seine Amtszeit ordnungsgemäß beendet und überlebt hat. Preval fand nach der Spaltung der Lavalas-Bewegung in die Lavalas-Familie (FL) unter Aristide und in die regierende Partei „Politische Organisation Lavalas“ (OPL), der er selbst angehörte, in seiner eigenen Partei keinen richtigen Rückhalt mehr. Die nächste Wahl gewann wieder der Volkstribun Aristide, der nun vom Armenpriester zum Multimillionär wurde. Um nicht noch einmal vom Militär gestürzt zu werden, hatte Aristide es kurzerhand abgeschafft. In den Elendsvierteln regierten die „Chiméres“, Milizen, die sich aus seinen Anhängern rekrutierten und Gegner des Präsidenten bevorzugt beseitigten, in dem sie ihnen brennende Autoreifen um den Hals hingen. Erinnerungen an die Milizen der Duvalliers, die Tonton Macoutés, wurden wach. Anfang 2004 begannen zahlreiche in der Demokratischen Konvergenz (CD) zusammengeschlossene Gruppierungen mit Demonstrationen gegen die autoritäre und korrupte Staatsführung, der Ex-Soldat Guy Phillippe hob mit anderen ehemaligen Militärs eine Widerstandfront aus der Taufe und lieferte sich blutige Gefechte mit den „Chiméres“. Wenige Monate später floh Aristide ins südafrikanische Exil und die UN installierten eine Übergangsregierung unter Gérard Latortue, der größtenteils in den USA gelebt hatte und nicht in der Lage war, das Land unter Kontrolle zu bekommen. (Nach der Wahl möchte der entnervte Latortue übigens schnell wieder nach Florida ausreisen.)

Die karibischen Staaten beteiligten sich übrigens nicht an der UN-Truppe. Jamaikas Premier Percival Patterson erklärte, damit wolle man darüber seinen Protest ausdrücken, daß die USA und Frankreich beim Sturz von Aristide im Hintergrund die Fäden gezogen haben.

Für viele Haitianer gilt René Preval politisch gesehen als „kleiner Bruder“ von Aristide. Doch er hat den Rückhalt der Elendsviertel in Haiti und gegen die kann kein Präsident in diesem Land regieren. Auch ist wohl nicht vergessen, daß unter seiner Regierung Schulen und Straßen gebaut wurden. Preval stärkte die Anbindung an die USA und Europa, nahm aber gleichzeitig wieder Beziehungen zu Kuba und zur benachbarten Dominikanischen Republik auf. Auch in den Korruptionssumpf hatte sich Preval nicht so sehr verstrickt wie seine Vorgänger.
Zur Wahl trat er mit seiner neuen Partei Lespwa („Hoffnung“) an. Ob er sich wirklich von Aristide emanzipiert hat, bleibt abzuwarten.

Bei einer Wahlbeteiligung von 63% hat Preval 49,6% der Stimmen erhalten und wird wohl zu einer Stichwahl am 19. März gegen den 75-jährigen Hochschulprofessor Leslie Manigat antreten, der mit 11,6% auf Platz 2 kam. Der christdemokratisch orientierte Manigat war 1988 zum Präsidenten gewählt worden, wurde aber nur fünf Monate später wieder vom Militär gestürzt.
Den dritten Platz von über 30 weitgehend unbekannten Kandidaten belegte mit 8,1% Charles Henry Baker, der einzige „Weiße“ im Rennen um den Präsidentenstuhl, der unter dem Slogan „Ordnung, Disziplin, Arbeit“ antrat.





Kay Hanisch