Einmischung der EU

Diktiert Europa jetzt schon Koalitionen?

8.7.2006. Nach der Vereidigung der neuen, von den Sozialdemokraten geführten Koalitionsregierung in der Slowakei erhob sich international ein Geschrei, als hätte dort Pol Pot die Wahl gewonnen und mit Adolf Hitler und dem Beelzebub eine Koalition gebildet. Die „Sozialdemokratische Partei Europas“ , eine Art europäische Fraktionsgemeinschaft, schloß die slowakischen Sozialdemokraten aus ihren Reihen im Europäischen Parlament aus. Die „Sozialistische Internationale“ erwägt ähnliches und auch selbsternannte „unabhängige“ Medien stoßen in dieses Horn. Das ganze erinnerte stark an die Hetzjagd auf Jörg Haider nach seinem Wahlsieg in Österreich. Doch was war eigentlich passiert?

Vor einigen Wochen hatte bei den Parlamentswahlen in der Slowakei die 1999 gegründete, linksliberale Bewegung „Smer“ (auf deutsch: „Richtung“) unter ihrem Spitzenkandidaten Robert Fico die Wahl gewonnen und wurde mit 50 Abgeordneten stärkste Fraktion. Am 1.1.2005 war eine Verschmelzung der Smer mit zwei kleineren Parteien erfolgt: der „Sozialdemokratischen Alternative“ und der 1990 von Alexander Dubcek, dem Initiator des „Prager Frühlings“, gegründeten „Sozialdemokratischen Partei der Slowakei“. Seit dem nennt sich Ficos Partei „Richtung-Sozialdemokratie“, weshalb sie oft als „sozialdemokratisch“ betrachtet wird.
Die neoliberale Regierungskoalition unter dem bisherigen Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda hatte einen knallharten Reformkurs zu Lasten sozial Schwacher gefahren. In einem unkonventionellen Wahlkampf (Fico ließ die Stimmung vor seinem Bad in der Menge durch Kabarettisten anheizen) zog die Smer gegen den Einheitssteuersatz („Flat Tax“) zu Felde und versprach die Reformen von Dzurinda u.a. im Gesundheitswesen sozial abzufedern.
Nach der Wahl verblieben neben Smer nur die beiden christdemokratischen Regierungsparteien und die Partei der ungarischen Minderheit, die ebenfalls zur alten Koalition gehörte, im Parlament, sowie die linksnationale „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS) und die rechte, minderheitenfeindliche Nationalpartei SNS.
Ausgerechnet mit den beiden letzteren will Fico, der mit allen Fraktionen bereits Gespräche geführt hat, nun die Regierung bilden, was international für Furore gesorgt hat. Tatsächlich sind beide Regierungspartner nicht unumstritten:

Die HZDS war unter ihrem Chef Vladimir Meciar, der von 1992-1998 als Premier wie ein lateinamerikanischer Caudillo in der Slowakei herrschte, in zahlreiche Skandale verwickelt. Der Sohn des verfassungstreuen Staatspräsidenten und Meciar-Gegners Michal Kovac wurde vermutlich mit Beteiligung des Geheimdienstes entführt. 1992 starb der beliebte und international geachtete Parlamentschef Alexander Dubcek bei einem mysteriösen Autounfall, in dessen Verlauf die Aktentasche des Opfers verschwand.

Der Führer der Nationalpartei Jan Slota ist hingegen mit Hasstiraden und Gewaltaufrufen gegen die ungarische Minderheit und gegen Sinti und Roma berühmt-berüchtigt geworden.

Doch die beiden umstrittenen Parteiführer sollen laut Fico kein Ministeramt erhalten, sondern lediglich im Koalitionsrat wirken. Fico erklärte, die Smer „steht für pro-europäische Politik, garantiert die Erfüllung sämtlicher außenpolitischer Verpflichtungen und wird die Rechte nationaler Minderheiten weiter sichern“. Diese Beteuerungen scheinen den Falken unter den Koalitionskritikern nicht zu genügen, sie wollen eine EINDEUTIG pro-europäische und bitteschön auch zu 100% neoliberale Regierung. Daß Fico Tony Blair und Gerhard Schröder als seine Vorbilder nennt, scheint nicht von Belang. Die Fico-Gegner im In- und Ausland schüren Panik und verbreiten Gerüchte, ausländische Investoren würden verschreckt werden und der Slowakei den Rücken kehren. Das mehr soziale Sicherheit auch weniger sozial motivierte Unruhen und besseres Investitionsklima bedeuten können, wird einfach weggewischt.

Doch hier geht es auch um die Glaubwürdigkeit (ein Wort das dem durchschnittlichen deutschen Berufspolitiker völlig unbekannt sein dürfte) von Smer und ihrem Chef.
Fico hat versprochen, aus der Slowakei einen modernen Sozialstaat zu machen – eine Forderung, die zahlreiche europäische „sozialdemokratische“ Parteien offensichtlich nicht nachvollziehen können. Da mit den von Fico bevorzugten Partnern wie der Ungarnpartei SMK diese Forderung nicht umsetzbar war, blieb ihm nur noch die Allianz mit HZDS und Nationalpartei oder der Gang in die Opposition. Letzteres dürfte für die meisten slowakischen Wähler nicht vermittelbar sein und entsprechend hätten sie die Partei bei den nächsten Wahlen abgestraft.

Paul Ryrup Rasmussen, gescheiterter dänischer Ex-Premierminister und europäischer Sozialistenchef erklärte der taz, die Koalition sei „vom sozialdemokratischen Standpunkt her inakzeptabel“. Fico solle sich andere Regierungspartner suchen, die politischen Kräfteverhältnisse ließen das schließlich zu. Das Fico aber dann vermutlich genau die Politik mittragen müßte, gegen die er im Wahlkampf angetreten ist, ist Herrn Rasmussen offensichtlich egal. Da muß die Frage erlaubt sein, ob jetzt europäische Parteifunktionäre in der Regierungsbildung einzelner Nationen weisungsberechtigt sind und wo das erst hinführen soll, wenn eine europäische Verfassung – am besten ohne Volksabstimmung und öffentliche Diskussion – eingeführt wird.

Die ersten angekündigten Maßnahmen der „sozialdemokratisch inakzeptablen“ Koalition: die Rücknahme der Praxisgebühr, der Abzug der 104 slowakischen Soldaten aus dem Irak und die Besteuerung von Lebensmitteln mit 5% statt wie bisher mit 19%.

Besonders die von der SPD-eigenen Medienholding DDVG dominierte Sächsische Zeitung (SZ) hatte sich auf die slowakische Koalition eingeschossen. Man warnte vor „weiterer Schuldenpolitik, die die für das Jahr 2009 geplante Einführung des Euro gefährden würde“.
Wäre dies der Fall wegen der eher bescheidenen Sozialmaßnahmen der Smer-HZDS-SNS-Koalition, hätte die neoliberale Vorgängerregierung aber ziemlich miserabel gewirtschaftet.
In dem Abzug der slowakischen Soldaten aus dem Irak sieht SZ-Kommentator Uwe Peter nicht das Verlassen eines völkerrechtswidrigen und illegalen multinationalen Besatzungsregimes, sondern „eine verdächtig populistisch-nationalistisch geprägte Entscheidung“.

Der slowakische Staatspräsident Ivan Gasparovic von der „Bewegung für Demokratie“ HZD, einer kleinen Abspaltung der Meciar-Partei, warnte vor einer Vorverurteilung der neuen Regierung und rief auf, erst einmal abzuwarten, wie sich das Kabinett in der täglichen Arbeit bewährt. Und letzten Endes kommt es nämlich nur darauf an – auf den Inhalt und nicht auf die Verpackung!

Kay Hanisch