Der Erbe Lumumbas

Comeback eines Fossils?

19.7.2006. Bei den ersten demokratischen Wahlen im Kongo seit seiner Unabhängigkeit 1960 am 30. Juli tritt eine neue Politikergeneration an. Ihre Nachnamen sind bekannt, es sind meist Töchter, Söhne oder Enkel ehemaliger Präsidenten, Premiers oder anderer Spitzenpolitiker. Präsident Joseph Kabila hat das Amt von seinem 2001 ermordeten Adoptivvater „geerbt“. Unter seinen 32 (!) Gegenkandidaten finden sich klangvolle Namen wie Justine Mpoyo Kasavubu, Tochter des ersten Staatspräsidenten Joseph Kasavubu (1960-65). Mit Guy-Patrice Lumumba tritt ein Sohn des legendären Unabhängigkeitspremiers an, Nzanga Mobutu hingegen kandidiert in Equateur und ist der Sohn des früheren Diktators Mobutu, der als „König der Diebe“ 32 Jahre das Land ausplündern durfte. Doch unter die zahlreichen Abkömmlinge großer Politiker hat sich ein „Original“ gemischt: der 80-jährige Antoine Gizenga, der 1960 nach der Ermordung Lumumbas während der Kongo-Krise als Chef einer international viel beachteten sozialistischen „Gegenregierung“ in der Ostprovinz um Stanleyville für Aufsehen sorgte, will Präsident Kabila ablösen. Dazu verfügt er nach dem Präsidenten über die am besten organisierte Anhängerschaft aller Kandidaten.



Im April 1959 hatte Antoine Gizenga die radikale „Partei der Afrikanischen Solidarität“ PSA gegründet. Kurz darauf vertrat er seine Partei bei der Brüsseler Allparteienkonferenz, die vorbereitende Verhandlungen für die Unabhängigkeit Belgisch-Kongos und die ersten Wahlen führte. Doch statt an der Konferenz teilzunehmen, tourte Gizenga durch den Ostblock und machte auf seiner Rückreise bei Sekou Touré, dem marxistischen Präsidenten von Guinea Station.
Auf die Frage eines amerikanischen Journalisten, ob er Kommunist sei, soll Gizenga allerdings mit der Gegenfrage geantwortet haben: „Wenn Sie nach Peking fahren, werden Sie dann Chinese?“
Im nationalen Parlament erhielt die PSA nur 13 der 137 Sitze, schnitt aber in einigen Provinzparlamenten deutlich besser ab. Vor den Wahlen hatte Gizenga eine Allianz mit der regionalistischen ABAKO des pro-westlichen Präsidenten Kasavubu gebildet. Im Konflikt zwischen dem Präsidenten und seinem antiimperialistischen Premier unterstützte er Lumumba. Als der spätere Diktator Mobutu im September 1960 mit CIA-Hilfe zum ersten Mal putschte und Lumumba gefangen setzte, floh Gizenga, inzwischen stellvertretendender Ministerpräsident, nach Stanleyville, wo er eine „lumumbistische“ Gegenregierung ausrief.
Militärisch unterstützt wurden Gizengas Anhänger von der Streitmacht des Generals Lundula, der sich bei den Beförderungen in der Armee übergangen fühlte. Diese linke „Quasi-Republik“ von Stanleyville bekam Hilfe aus der Sowjetunion und dem Ostblock, die Vereinigte Arabische Republik (ein kurzzeitiger Staatenbund zwischen Ägypten und Syrien) richtete gar eine Luftbrücke ein.

Auf seiner Flucht aus der Hauptstadt nach Stanleyville wurde Lumumba ermordet, Gizenga kehrte 1961 als stellvertretender Premier in Regierung zurück. Doch schon im Januar 1962 wurde er auf Betreiben prowestlicher Kräfte inhaftiert und auf die malariaverseuchte Insel Bula Bemba verschleppt.

Nach 27jährigem Exil (u.a. in Frankreich, Angola, Kongo-Brazzaville und der Sowjetunion) kehrte Gizenga auf Einladung des Diktators Mobutu in seine Heimat zurück.

Der alte Mann mit der Hornbrille und dem unbeweglichen Pokerface hatte schon im Exil die „Partei der Vereinigten Lumumbisten“ (PALU) gegründet und sich zum wahren Erben von Patrice Lumumba stilisiert.
2002 nahm die PALU an den in Südafrika durchgeführten Allparteiengesprächen der kongolesischen Bürgerkriegsparteien teil.
In Umfragen des Instituts Les Points vom Februar 2005 belegte Gizenga Platz 5 auf der Liste der populärsten Politiker des Landes – mit allerdings nur 4,2% Zustimmung. An der Spitze stand weiterhin Etienne Tshisekedi, der Führer der größten zivilen Oppostionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) mit 34,9%. Da aber Tshisekedi und seine Partei die Wahlen am 30. Juli boykottieren, ist Gizenga der einzige bekannte Kandidat aus dem Lager der zivilen Opposition. Viele UDPS-Sympathisanten, die doch zur Wahl gehen möchten, könnten für ihn stimmen und ihm zu mehr als einem Achtungserfolg verhelfen. Während die meisten der 282 kandidierenden Parteien aus nur „einem Großmaul nebst Ehefrau“ bestehen (so die Schriftstellerin Michela Wrong) verfügt die PALU über eine homogene Anhängerschaft im ganzen Land und orientiert sich nicht wie viele andere Parteien an ethnischen oder regionalistischen Interessen.
Zwar konnte die Partei von Präsident Kabila ihre Anhängerschaft im Osten des Kongo vor geraumer Zeit beträchtlich erweitern, einige Prozente dürften dem alten Haudegen Gizenga bei der Wahl aber durchaus zuzutrauen sein.

Kay Hanisch