Ärger in Tibet

Wie lange hält der Westen zu Tibet?

Wie lange hält der Westen zu Tibet?



Seltsamer Weise kurz vor den olympischen Spielen entdeckt der Westen, daß Tibet, welches mühsam seine Unabhängigkeit vom zerfallenden chinesischen Kaiserreich erlangte, 1950 wieder von der VR China besetzt und einverleibt wurde. Als die Tibeter damals um internationale Hilfe riefen, fand sich keiner ihrer westlichen Freunde – weder Großbritannien noch die USA – bereit, etwas zur Verteidigung der tibetischen Unabhängigkeit zu tun. Lediglich die winzige Bananerepublik El Salvador brachte das Anliegen Tibets, auf die drohende Vereinnahmung durch China hinzuweisen, vor die UNO. Tibets „Freunde“ Indien und England verhinderten damals einen Beschluß der Staatengemeinschaft.
Inzwischen haben die USA die gegenwärtige Lage analysiert und festgestellt, daß sie in 20-30 Jahren von China als Weltmacht Nr. 1 abgelöst werden. Und nun suchen sie nach Mitteln um den Aufstieg Chinas, wenn schon nicht zu verhindern, wenigstens zu verlangsamen und zu bremsen.
Immer wieder wurde der Freiheitskampf und Freiheitswille der Tibeter vom Westen angestachelt und dann wieder mißbraucht, um das kommunistische China unter Druck zu setzen und zu schwächen. Immer wieder wurden die Tibeter mit ihrem – größtenteils gewaltlosen – Kampf fallengelassen, wenn es dem Westen opportun schien, denn mit China befand sich ja während des Kalten Krieges ein hervorragender Spaltpilz im kommunistischen Lager, während man heute mit Peking die dicksten Geschäfte machen kann.
Auch die Solidarität der westlichen Politiker mit dem Dalai Lama, seinen Getreuen in der Exilregierung und in der Nationaldemokratischen Partei Tibets und anderen Gruppierungen wird bei Zeiten wieder ad acta gelegt werden, denn an China kommt wirtschaftlich heute keine Handelsnation mehr vorbei.
Andere radikalere tibetische Exil-Gruppen, wie der Tibetische Jugendkongress finden die Forderungen des Dalai Lama nach „kultureller Autonomie“ und Gewaltlosigkeit für nicht mehr effektiv und zeitgemäß. Peking hat den Dalai Lama und dessen Exilregierung trotz deren Kompromißbereitschaft nie wirklich als Verhandlungspartner akzeptiert. Deshalb wollen die „Radikalen“ nun eine härtere Gangart gegenüber Peking einschlagen. Der Westen wird dies zu nutzen wissen. Allerdings machen sich die Tibeter selbst keine Illusionen darüber, daß sie vom Westen benutzt werden. Doch sind die Interessen im Moment deckungsgleich: Die Tibeter führen ihren berechtigten Kampf um ihre Freiheitsrechte, der Westen will China schwächen.
Würde China Tibet die gewünschte Autonomie gewähren und die Tibeter würden sich letztendlich damit zufrieden geben (was angesichts der Versöhnlichkeit des Dalai Lama und der tibetischen spirituell begründeten Gelassenheit sehr gut möglich ist), wird der Westen nach anderen Mitteln suchen, um China zu schwächen. Dabei bietet sich die im Nordwesten der Volksrepublik siedelnde muslimische Minderheit der Uiguren an, denn auch unter ihr wächst der Widerstand gegen das Regime aus Peking.

Die Tibeter sind kulturell, religiös und politisch ein Fremdkörper in China. Wenn China Interesse an langfristiger Stabilität hat, wie es immer wieder behauptet, kann es diese nur erlangen, wenn es die Tibeter wirklich in die Nation integriert und ihnen die nötige Freiheit für die eigene Lebensweise und für politische Teilhabe läßt. Mit einem Gegenspieler, der auf Dialog und Versöhnung setzt, stehen die Chancen gut, ein Übereinkommen zu erzielen. Denn eine Politik, bei der „die Macht aus den Gewehrläufen kommt“ (Mao Tse-tung ) kann nicht Grundlage des 21. Jahrhunderts sein.

Kay Hanisch

STATT Partei –DIE UNABHÄNGIGEN April 2008