Tappt Putin in die Falle?

Tappt Putin in die Falle des Westens?

Der Westen versucht in Russland politisch Einfluß zu nehmen. Deshalb schikaniert Putin die Opposition. Doch genau darauf setzt der Westen.

Eine Betrachtung, die viel umfangreicher sein müsste, und bei der man erstaunliche Parallelen zu Deutschland findet.



4.4.2007. Die Medien in unserem Land haben es verkündet: die russischen Regionalwahlen Mitte März waren alles andere als demokratisch, sondern unfair und bereits im Vorfeld manipuliert. Seitdem Präsident Wladimir Putin 1999 die Macht übernahm, hat er alles getan, um eine demokratische Opposition in Russland auszuschalten. Er ließ mehrere Parteien in seiner Kreml-Partei „Vereinigtes Russland“ zusammenführen, er erhöhte die 5%-Hürde auf 7% und verfügte, eine Partei müsse mindestens 50.000 Mitglieder haben, um zugelassen zu werden, was kleine Parteien vom politischen Leben nahezu komplett ausschließt. Die sozialdemokratische „Republikanische Partei“, die älteste Oppositionspartei Russlands, wurde deshalb vom Kreml kürzlich verboten, obwohl sie offiziell 58.000 Mitglieder besitzt.
Nun konnten zu dieser Wahl auch keine Unabhängigen mehr antreten, nur noch Parteilisten. Die Mindestwahlbeteiligung wurde genauso abgeschafft, wie das Recht „Gegen alle“ Kandidaten und Parteien zu stimmen. Es gab angeblich massive Fälschungen in den Wahllokalen und 19 Parteien wurden zur Wahl gar nicht erst zugelassen.
In der Woche vor der Wahl formierte sich in St. Petersburg gegen die Wahlfarce zaghafter Widerstand. Mehrere tausend Oppositionelle gingen auf die Straße, um gegen das „System Putin“ zu demonstrieren. Es waren nicht nur ausschließlich die politischen Lieblinge und „Marionetten“ des Westens, die da auf die Straße gingen, wie es vom Kreml gern dargestellt wird. Zwar demonstrierten neben dem früheren Schachweltmeister Garri Kasparow und seiner Vereinigten Staatsbürgerlichen Front auch die Anhänger des im Westen beliebten und von Putin geschassten Ex-Premiers Michail Kassjanow und dessen Volksdemokratischer Union. Doch auch die Truppen von der radikalen National-Bolschewistischen Partei des Schriftstellers Eduard Limonow, dessen junge Mitgliederschar in St. Petersburg durch Hausbetzungen auffiel, nahmen an der Aktion ebenso teil wie die sozial-liberale, oligarchen-kritische Partei „Jabloko“. Letztere wurde 1993 von dem Ökonomen Grigori Jawlinski gegründet und gilt als eine der ältesten und seriösesten Oppositionsparteien. Schon in der Ära Jelzin hatte sich Jabloko als Anti-Korruptionspartei profiliert. Dies wurde ihr in St. Petersburg zum Verhängnis. Da die 3 Stadträte der Partei anprangerten, dass ausgerechnet der Sohn der putin-treuen Bürgermeisterin als Großinvestor für ein neues Hochhausprojekt von der Stadt auserkoren wurde, strich man die Partei in St. Petersburg von der Wahlliste. Auf der Demonstration erklärte Garri Kasparow, dass Putin mit der Aushöhlung demokratischer Rechte „einen schleichenden Staatsstreich“ durchführe. Kurz darauf knüppelten Polizisten und OMON-Sturmtruppen die Veranstaltung brutal nieder, es gab Verletzte und 113 Personen wurden festgenommen.

Putin hat es geschafft, nach seiner Machtübernahme 1999, Russland wieder in ein stabiles Fahrwasser zu bringen. Auch wenn die Korruption mittlerweile wieder zunimmt, hat er den Einfluß mächtiger Oligarchen und Mafiabosse zurückgedrängt. Auf den ersten Blick – denn jene Oligarchen, die ihm treu zu Diensten waren, durften ihre Pfründe behalten, während jene wie Michail Chodorkowski, der sich selbst als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch brachte, im Gefängnis landeten. Es gelang Putin, durch die Entmachtung regionaler Machthaber und Gouverneure (die nicht mehr direkt gewählt, sondern nun vom Präsidenten ernannt werden) das föderale Russland zu einem eher zentralistischen Staat zu machen. Mit Hilfe des staatlichen Energiekonzerns Gazprom schaffte es Putin, die wichtigen Rohstoffe wieder unter die Kontrolle des Staates zu bekommen. Nach wie vor ist der Präsident bei den meisten Russen ungemein populär, er hätte es kaum nötig, mit der schwachen Opposition derart rabiat umzuspringen und mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Doch hinter der Repression steckt die Angst, Russland könnte einer vom Westen finanzierten Revolution anheim fallen, so wie die „Nelkenrevolution“ 2003 in Georgien oder die „Tulpenrevolution“ zwei Jahre später in Kirgisien. Auch bei der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine half der Westen dezent mit, allerdings existierten dort bereits starke demokratische Parteien und profilierte Oppositionspolitiker, so dass die Hilfe des Westens kaum eine Rolle gespielt hätte.
Ganz anders sieht es in Georgien aus: der mit westlicher Hilfe an die Macht gekommene Michail Saakaschwili gebärdet sich heute autoritärer als sein pro-russischer Vorgänger Eduard Schewardnadse, unter dem aber dafür die Korruption enorme Ausmaße angenommen hatte und in mehreren Regionen des Landes Warlords regierten. Weitaus tragischer war der Sturz von Askar Akajew in Kirgisien. Der galt nicht nur als der gemäßigteste unter allen postsowjetischen Autokraten, sondern sein Abgang führte zur Spaltung des Landes. Während der Südteil Kirgisiens mit dem Norden rivalisiert, ist die neue Regierung kaum „demokratischer“ als die Akajews. Bei all diesen Revolutionen spielte der us-amerikanische Finanzjongleur George Soros eine wichtige Rolle, über seine Stiftung lieferten die USA diskret Unterstützung für die Opposition, bezahlten ihr in Kirgisien z.B. die Druckerpressen.
Derartige Zustände fürchtet nun auch der Putin-Staat, weshalb Russland vor nicht allzu langer Zeit die Arbeitsmöglichkeiten für ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) einschränken ließ. Denn der Westen - und hier sind die USA besonders herauszustreichen – hat es auf die Rohstoffe der größten Nation der Welt abgesehen und verlangt nach Zugriff.
Der frühere Besitzer des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, hatte vor seiner Verhaftung bereits mit US-Ölkonzernen, die sich bei Yukos einkaufen wollten, Verbindung aufgenommen. Er sollte für die US-Konzerne als „Türöffner“ fungieren.
Um oppositionelle Regungen klein zu halten, erhöht der Kreml seine Repressionen gegenüber den Oppositionsparteien. Doch gerade diese Behandlung schafft Solidarität zwischen Unzufriedenen und Benachteiligten im System Putin und den kleinen Oppositionsparteien.
Schreitet dieser Zustand fort, wird die Opposition in jedem Fall gestärkt.
Würde die derzeit chancenlose Opposition (plus Kommunistische Partei) – mit oder ohne Zureden des Westens – die Wahlen boykottieren, so würde wohl nur noch die zwei Kreml-Parteien „Einiges Russland“ und „Gerechtes Russland“ sowie die rechtsradikale LDPR des Politrabauken Wladimir Schirinowsky, die auch zum Putin-Lager zählt, im Parlament vertreten sein.

Nach der sandinistischen Revolution 1979 in Nicaragua bedrängten die USA die bürgerliche Opposition, die Wahlen 1984 zu boykottieren. Dadurch fand sich nur die linke FSLN im Parlament wieder. Ein gefundenes Fressen für Washington , denn nun konnten die USA dies propagandistisch ausschlachten und gegen das vermeintliche „kommunistische Ein-Parteien-Regime“ Sanktionen verhängen. Die gleiche Strategie versuchten die USA im „bolivarischen“ Venezuela umzusetzen. Die Opposition wurde 2005 zum Wahlboykott aufgestachelt, doch die Regierung Chavez wurde nicht von einer Partei, sondern von einem ganzen Konglomerat linker Parteien unterstützt, so dass nach wie vor mehrere Parteien im Parlament sitzen und der Propagandacoup der USA misslang.
Putin will diesem Problem zumindest teilweise entgegenwirken, in dem er jetzt eine weitere Retortenpartei klonen ließ, die sich „Gerechtes Russland“ nennt, als Scheinopposition fungiert und als zweites Standbein des Kremls dienen soll. Auch wurde die rechtsnationale „Liberaldemokratische Partei Russlands“ des Demagogen Wladimir Schirinowsky in die Regierung eingebunden. Sowohl die Kommunistische Partei, als stärkste Oppositionskraft, sowie die „Union Rechter Kräfte“ (SPS) , die als Partei der neoliberalen „Turbo-Reformer“ aus der Jelzin-Ära gelten kann, scheinen sich mit Putin arrangiert zu haben. In den Medien wurde diesen Gruppierungen vor der kürzlich erfolgten Regionalwahl weitaus mehr Präsenz eingeräumt als putin-kritischen Parteien.

Auf den ersten Blick ist Putins „gelenkte Demokratie“, nichts weiter als eine Autokratie de Luxe. Wenn dies so ist, dann sollten wir Deutschen uns langsam Sorgen machen. Nicht nur um die russischen Demokraten, auch um unsere Demokratie. Denn beim genaueren Hinsehen findet man viele Parallelen zwischen unserem „Rechtsstaat“ und dem „Putin-Staat“.

Auch bei uns prügelt die Polizei Demonstranten und verhaftet sie.

Auch bei uns werden Parteien nicht zur Wahl zugelassen von den Parteien im Bundestag, denn ihre Vertreter bestimmen im Bundeswahlausschuss, wer zur Wahl antreten darf und wer nicht.

Auch bei uns darf die Opposition wie in Russland dagegen Einspruch erheben. Auch bei uns wie in Russland sind diese Einsprüche wirkungslos wie die Wahlanfechtung der Liberalen Demokraten (LD) wegen ihrer Nichtzulassung zur Bundestagswahl 2002 gezeigt hat.

Auch bei uns wird die demokratische Opposition von den Medien totgeschwiegen oder diskriminiert.

Auch bei uns werden die Hürden erhöht, um neuen und kleinen Parteien den Einzug in die Parlamente zu erschweren, wie z.B. die Erhöhung der Anzahl an Unterstützungsunterschriften für die sächsischen Kommunalwahlen 2004 beweist.

Wird also unsere Demokratie auch immer „gelenkter“? Oder ist sie es bereits? Sollten wir bei aller berechtigten Kritik am Demokratieabbau in Russland nicht zunächst vor unserer eigenen Tür kehren? Wie soll sich die demokratische Opposition in Deutschland dazu verhalten?

Wir müssen unsere eigenen Demokratiedefizite in Deutschland selbst überwinden, genauso wie es die Russen selbst und auf ihren Kulturkreis zugeschnitten tun müssen. Dies bedeutet einerseits Achtung des Völkerrechts und der Souveränität Russlands, andererseits Solidarität mit seriösen, nicht korrumpierten demokratischen Oppositionsgruppen wie Jabloko oder der Republikanischen Partei.



Kay Hanisch