Bhuttos Rückkehr

Welchen Weg nimmt Pakistan?



Pakistan hat Atomwaffen und starke organisierte islamistische Gruppen. Die Herrschaft von Militärherrscher Musharraf neigt sich dem Ende.



Während sich der Westen nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes in Pakistan in peseudo-demokratischer Scheinheiligkeit übt und vom Militär-Präsidenten Pervez Musharraf verlangt, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen, hat er offenbar vergessen, daß es gerade die selbsternannten Kreuzzügler gegen den Terror vom Schlage eines George W. Bush waren, die Pakistan mit ihrer Politik in dieses Dilemma brachten.

Dazu muß einiges erklärt werden. Zunächst erst einmal ist und war Pakistan keine Demokratie im westlichen Sinne. Die Macht geht nach wie vor von ein einflußreichen Feudalherren und reichen Familien aus. Sowohl die beiden ehemaligen Premierminister Benazir Bhutto und Nawaz Sharif – heute die wichtigsten Oppositionsführer – entstammen diesen einflußreichen Familien wie auch der inzwischen von Musharraf abgesetzte Oberste Richter Iftikhar Chaudhry.

Ähnlich wie in einigen europäischen Staaten ist auch das Amt des Staatspräsidenten in Pakistan nicht mit sehr viel Macht ausgestattet, die eigentlichen Entscheidungen trifft im Normalfall der Premierminister. Seit Pakistan 1947 unabhängig wurde, gab es immer wieder Putsche und das Militär mischte sich in die Politik ein. 1970 siegte die säkulare, gemäßigt links orientierte Pakistanische Volkspartei (PPP) unter Zulfikar Ali Bhutto, dem Vater der heutigen Oppositionsführerin bei den Wahlen. Bhutto wurde Premierminister, verstaatlichte Schlüsselindustrien und Banken und führte eine Bodenreform durch. Kurz nach seiner Wiederwahl 1977 wurde er aber von Generalleutnant Zia ul-Haq gestürzt, der selbst die Macht übernahm und Bhutto 1979 aufhängen ließ.

Zia war ein tiefgläubiger radikaler Moslem, dessen Ziel die stärkere Islamisierung Pakistans war. Drakonische Strafen, Alkoholverbot, Prügel und Verstümmelungen im Sinne des Korans gehörten zu seinem Programm. Seine Anhänger beförderte Zia im Staatsdienst auf einflußreiche Posten. 1988 endete sein Regime, als der Militärdiktator bei einem bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Die Wahlen im November des gleichen Jahres brachten die PPP und Benazir Bhutto an die Macht, die somit zur ersten Premierministerin in einem islamischen Land gewählt wurde.

Die attraktive 35-jährige war eine charismatische Anführerin und ausgezeichnete Rednerin, welche die Massen begeistern konnte. Allerdings verblaßte ihr Glanz schon kurz nach der Amtsübernahme. Die PPP hatte keine eigene Mehrheit im Parlament und die Getreuen Zia ul-Haqs im Staatsapparat untergruben ihr Reformprogramm. Zwei Jahre später wurde Bhutto unter dem Vorwurf der Korruption und Vetternwirtschaft vom Staatspräsidenten entlassen.

Neuer Premierminister wurde jetzt Mian Nawaz Sharif, ein Zögling des Militärdiktators Zia.

Er führte 1991 das islamische Rechtssystem, die Scharia, ein und koalierte mit radikal-islamischen Parteien. Nawaz, der genau wie Bhutto noch Geschäfte „nebenher laufen hatte“, wurde 1993 ebenfalls wegen Vetternwirtschaft und Korruption vom neuen Staatspräsidenten Faruk Leghari (1993-97) entlassen.
Nachfolger des Geschassten wurde wieder Benazir Bhutto, die ihrer zweiten Amtszeit (1993-96) wieder keine Erfolge erzielte, was u.a. daran lag, daß ihre PPP eine Koalition mit der Pakistanischen Muslim Liga (PML) von Nawaz Sharif eingehen mußte, um regieren zu können.

Ein weiteres Problem war der allmächtige pakistanische Geheimdienst ISI (Inter-Service-Intelligence), der sich zu einem Staat im Staat entwickelt hatte und wie ein Krake seine Tentakel in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinstreckte.

Den radikalen Islamisten im ISI, von Zia eingesetzt und von Nawaz Sharif später protegiert, hatte Benazir Bhutto nicht viel entgegenzusetzen. Im Gegenteil, sie ließ den ISI gewähren und war sich wohl klar, daß jeder Machtkampf mit dem Geheimdienst nur zu ihren Ungunsten ausgehen konnte. Während ihrer zweiten Regierungszeit 1993-96 wurde im benachbarten Afghanistan vom ISI eine radikal-islamische Rebellenbewegung aufgebaut, deren Fanatismus alles bisher da Gewesene in den Schatten stellte: die Taliban-Milizen! Die Tatsache, daß dies mit Wissen Bhuttos geschah, brachte ihr international den Spitznahmen „Hebamme der Taliban“ ein.

Die USA unterstützten die Taliban-Milizen über den ISI oder direkt bei ihrem Vormarsch gegen die Regierung in Kabul.

Warum taten sie das? Es ging wieder einmal ums Öl! Die Regierung in Afghanistan bestand seit 1992 aus einer zerstrittenen Allianz verschiedener Kriegsfürsten unter dem Islam-Theologen Burhanuddin Rabbani. Diese Allianz, deren Führer hauptsächlich aus ethnischen Minderheiten stammten, hatte bei internen Machtkämpfen Kabul mit Raketen in Schutt und Asche gelegt und weit mehr verwüstet, als es 10 Jahre sowjetische Militärbesatzung vermochten haben.

Es war klar, daß es mit dieser Regierung keinen Neuanfang in Afghanistan geben konnte. Die USA benötigten aber Stabilität in diesem Land und zuverlässige Geschäftspartner, da sie planten, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen, um unter Umgehung des Irans Erdöl aus den GUS-Republiken zu exportieren. Wer schien besser geeignet, Stabilität in Afghanistan zu schaffen, als eine Bewegung, die sich aus der größten ethnischen Gruppe des Landes, den Paschtunen, zusammensetzte? Zumal die Paschtunen auch das ehemalige Herrschervolk waren, dem der letzte, 1973 gestürzte, König angehörte.

In dieser Weltgegend bestimmen Clan- und Stammeszugehörigkeiten die Loyalitäten und so glaubte auch Pakistan, das selbst über einen 15%-igen paschtunischen Bevölkerungsanteil verfügt, Einfluß auf die neue, künftige Regierung Afghanistans ausüben zu können. Ziel dieser Politik dürfte wohl auch gewesen sein, die starke Stellung des Iran zu untergraben, der die Regierung Rabbani in Kabul unterstützte.

So fügte sich eins ins andere. Die Taliban nahmen das Geld und die Waffen von jedem (auch von Saudi-Arabien) und Pakistan und die USA glaubten, diese Rebellengruppe steuern zu können, was sich später als Fehleinschätzung herausstellte.

1996 wurde Bhutto abermals nach Korruptionsvorwürfen von Nawaz Sharif im Amt des Premiers abgelöst, der den Kuschelkurs mit den Islamisten weiterführte und forcierte, den eigenmächtigen Aktivitäten des ISI nichts entgegensetzen konnte und nebenbei noch in die eigene Tasche wirtschaftete. So war der Putsch von Generalstabschef Pervez Musharraf 1999 nur die logische Konsequenz aus dem Versagen der selbsternannten „Demokraten“. Viele Pakistanis begrüßten damals den Umsturz, erhofften sie sich doch von der Militärregierung eine Neuordnung der Verhältnisse. Musharraf warf dem gestürzten Premier nun vor, er habe versucht, ihn zu ermorden, denn nach Meinungsverschiedenheiten hatte Nawaz Sharif dem Flugzeug seines Generalstabschefs die Landeerlaubnis verweigert und die Linienmaschine mit Musharraf und 198 Zivilisten an Bord wegen Treibstoffmangel so bald zum Absturz gebracht.

Ein anderer wichtiger Grund für den Putsch, der vielleicht weniger bekannt sein dürfte, war die Tatsache, daß Nawaz Sharif eine Verfassungsreform plante, die den Einfluß des Militärs in der pakistanischen Gesellschaft wesentlich beschnitten hätte. Das Militär gilt nach wie vor als wichtigster Stabilitätsgarant des Landes und unterhält ein weitverzweigtes Netzwerk von eigenen Firmen und Bildungseinrichtungen.

Musharraf entmachtete also Premier Sharif, der sich ins Exil absetzte, übernahm selbst den Posten des Regierungschefs und setzte eine neue Zivilregierung ein. Nach dem Rücktritt des Staatspräsidenten Rafik Tarar 2001 übernahm der kleinwüchsige General auch dieses Amt. Der neue Machthaber konnte seine Sympathien für den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk nicht verbergen. Auch er war ein Anhänger eines laizistischen Staates und eines moderaten, toleranten Islams. Musharraf entließ einige einflußreiche Talibansympathisanten aus Armee und Geheimdienst – ein Schritt den sich vorher keiner der gewählten Politker getraut hätte. Nicht alle Parteien verurteilten den Putsch. Die winzige, derzeit mit nur einem Abgeordneten im Parlament vertretene „Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit“ des international bekannten Ex-Kricketspielers Imran Khan begrüßte zum Beispiel Musharrafs Machtübernahme, was zeigt, daß das pseudo-demokratische System schon damals nur noch wohlgelitten war, auch wenn Khan und seine Partei heute zur Opposition gehören.

Die Regierung verabschiedete ein neues Wahlgesetz, daß darauf abzielte unabhängige Kandidaten und neue politische Kräfte zu fördern und die Dominanz von PPP und PML zu verringern. Obwohl dieses Konzept bei den Kommunalwahlen nicht aufging und die beiden großen Parteien ihre Stellung festigen konnten, kam es zur Spaltung der Pakistanischen Muslim Liga. Der kleinere Teil bekannte sich zum gestürzten Premier Sharif und nannte sich nun PML-N („N“ wie „Nawaz Sharif“) und der größere Teil, der als PML-Q firmierte, unterstützte Musharraf und wurde quasi zu dessen Hauspartei.

Schritt für Schritt machte der Militär-Präsident das kurz vor dem Staatsbankrott stehende Land wieder handlungsfähig, wozu er sich nicht scheute, Bündnisse der PML-Q mit islamistischen Parteien zu begrüßen. Eine nationales Büro für die Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption wurde eingerichtet und Kleinunternehmer steuerlich entlastet.

2002 kam es zu Wahlen, bei denen die PML-Q mit 78 Abgeordneten stärkste Fraktion wurde und die Traditionsparteien PPP (62 Sitze) und PML-N (15 Sitze) auf den zweiten bzw. vierten Platz verwies. Zudem erhielt Musharrafs Politik im Parlament u.a. noch Unterstützung von der Nationalen Allianz (NA) des ehemaligen Staatspräsidenten Faruk Leghari (11 Sitze) und der MQM, einer Partei, die die Interessen der indischstämmigen Einwanderer vertritt (13 Sitze).

Kurz nach der Wahl gab Musharraf das Amt des Premierministers an einen Zivilisten ab, blieb aber nach wie vor Chef der Streitkräfte und Präsident. Seine Regierung erließ Gesetze zum Schutz von Frauenrechten und das Verbot von sogenannten „Ehrenmorden“, die Familienmitglieder an Frauen begehen können, die des Ehebruchs verdächtigt werden. Dies erregte den Widerstand fundamentalistischer Kreise.
Bis zum 11. September 2001 verfolgte Pervez Musharraf in Pakistan eine gemäßigt-nationale Politik. Dies änderte sich schlagartig nachdem die USA ihren Krieg in Afghanistan begannen und das südliche Nachbarland immer mehr in ihren Feldzug gegen den Terror einbanden. Wie Musharraf erst kürzlich öffentlich bekannte, hatten US-Strategen Pakistan als eigentlichen Hort des islamischen Fundamentalismus ausgemacht (die Taliban und Al-Qaida-Kämpfer wurden in pakistanischen Religionsschulen, sogenannten Madrasas, ausgebildet) und hochrangige US-Regierungsbeamte hatten ihm am Telefon gedroht „Pakistan in die Steinzeit zurückzubomben“, wenn es nicht bald aktiv am „Krieg gegen den Terror“ der USA teilnehme. Dem General blieb also keine Wahl.

Hatte Musharraf bisher die erstarkten islamischen Fundamentlisten mit mehr oder weniger mäßigem Erfolg versucht, durch Lavieren und stellenweise durch Einbinden in die Regierungsverantwortung zu neutralisieren, erregte sein offenes, von den USA gefordertes Vorgehen gegen Talibansympathisanten nun den Widerstand breiter Bevölkerungsschichten. Als George W. Bush seinen Irakfeldzug begann, verhielt sich der General auffällig still, während 90% der Pakistanis den Krieg ablehnten und sogar 55% einen Kriegseintritt Pakistans auf Seiten des Irak befürworteten. Dies zeigt, wie groß der Riß zwischen Regierungspolitik und Bevölkerung geworden ist.


Fazit:

Der islamische Fundamentalismus in Pakistan nimmt zu. Bei den Wahlen 2002 konnte die MMA, ein Bündnis von sechs islamischen, zum Teil fundamentalistischen, Parteien mit 45 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament werden, die Wahlen 2008 werden die Islamisten weiter stärken.

Benazir Bhutto und die PPP machen sich als Hoffnungsträger für ein säkulares Pakistan gerade unglaubwürdig. Bhutto hat einen Deal mit Musharraf geschlossen: er amnestiert sie wegen ihrer Korruptionsvergehen, sie unterstützt mit ihrer Partei, der stärksten des Landes übrigens, den General. Zur Zeit mischt Bhutto halbherzig bei den Massenprotesten gegen den Präsidenten mit, doch ganz mit ihm brechen will sie offenbar auch nicht, was viele ihrer Anhänger brüskiert und ihren Kampf für die Demokratie fragwürdig erscheinen läßt. Ihre pro-amerikanische Haltung enttäuscht viele Pakistanis, kommt sie an die Macht, wird sie auch die USA enttäuschen, denn sie wird wie immer taktieren und sich wie bisher gegen die Islamisten nicht durchsetzen können.

Nawaz Sharif hat mit seiner Erzfeindin Bhutto ein Bündnis geschlossen, um die Herrschaft des Generals zu bekämpfen und um die „Demokratie wiederherzustellen“. Dabei haben beide Oppositionsführer selbst Dreck am Stecken und sind alles andere als demokratische Lichtgestalten. Bhutto ist außerdem Parteivorsitzende auf Lebenszeit und Sharif wird wohl die islamischen Fundamentalisten weiter stärken, anstatt sie zu bekämpfen, was Pakistan weiter ins Chaos treiben dürfte.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist dagegen Imran Khan, den die beiden „Erzdemokraten“ in ihr Bündnis holen wollen. Er gilt als unbestechlicher politischer Idealist. Doch seine Partei ist viel zu klein, um sich gegen die PPP und die PML-N bei den Wahlen und im Bündnis zu behaupten.

Die Herrschaft von Pervez Musharraf hat unzweifelhaft ihren Zenit überschritten. Doch es stimmt eigentlich traurig, daß ein Militärherrscher mehr für Pakistan bewegt hat, als die gewählten Regierungen. Fast schon unter Tränen hat der im Ausland als „Militärdiktator“ geschmähte Präsident die Verhängung des Ausnahmezustandes als notwendig im Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus (und gegen aufmüpfige Juristen, das verschweigt er) bezeichnet und erklärt, es gehe ihm „nur um die Demokratie, auch wenn man mir das nicht glaubt“.

Den Deal zur Machtteilung zwischen Bhutto und Musharraf haben die USA vermittelt. Nun sieht es so aus, als ob die Oppositionsführerin immer mehr davon abrückt. Die USA sehen den unvermindert anhaltenden Protest gegen den Präsidenten mit Argwohn, obwohl dieser angekündigt hat, eine der Hauptforderungen der Opposition zu erfüllen – nämlich die Uniform an den Nagel zu hängen und als ziviler Präsident weiter zu amtieren, schließlich hatte das Parlament ihn im Herbst erst im Amt bestätigt. Es wird so gar gemunkelt, daß die USA Kontakte zu hochrangigen Generälen aufgenommen haben, um möglicherweise zu bewirken, daß das Militär Musharraf die Unterstützung entzieht. Dieser wird inzwischen auch gemerkt haben, wohin es führt, wenn man sich mit Leuten wie George W. Bush und Dick Cheney einläßt: hilft man ihnen, wird man zum Dank später von ihnen verschlungen.

Der Drahtseilakt des Militär-Präsidenten Pakistans zwischen islamischen Terroristen und amerikanischen Terrorkriegern ist gescheitert. Was nach Musharraf kommt, ist ungewiß. Stabilität könnte nur eine Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung gemäßigter Islamisten bringen.




Kay Hanisch