Absturz der Monarchisten

Absturz der Monarchisten

Der Ausgang der Parlamentswahl in Kambodscha vom Juli 2008 war keine Überraschung. Die Karten waren von vornherein zugunsten des autoritären Langzeitpremiers Hun Sen gemischt gewesen. Dennoch vollzieht sich in Kambodschas Parteiensystem ein gravierender Wandel.

Der neue und alte Premierminister im Königreich Kambodscha heißt Hun Sen. Ein Mann, der in den 1970iger Jahren zunächst auf Seiten der berüchtigten Roten Khmer unter Pol Pot kämpfte, sich nach zwei Jahren Richtung Vietnam absetzte, um bald darauf im Gefolge vietnamesischer Besatzungstruppen wieder kambodschanischen Boden zu betreten. Die Vietnamesen installierten nach dem Sturz des steinzeitkommunistischen Pol-Pot-Regimes 1979 ein sozialistisches Einparteiensystem nach Ostblock-Vorbild. Aus dieser Einheitspartei ist die heutige Regierungspartei CPP (Kambodschanische Volkspartei) hervorgegangen und seit 1985 steht Hun Sen der Regierung vor, auch wenn das Land einen Wandel hin zur Formaldemokratie und wieder zurück zur konstitutionellen Monarchie gemacht hat.
In der Zeit des Staatssozialismus und der vietnamesischen Besatzung der 80iger Jahre konnte sich die CPP tief im Staat verankern. Sie kontrolliert auch heute noch praktisch die Armee und den gesamten Sicherheitsapparat sowie die Medien. Letztere benutzte sie, um massiv Stimmung für die Regierung zu machen.
Zwar befindet sich Kambodscha in einem stetigen Wirtschaftswachstum, doch zeitgleich geht damit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten einher. Die Regierung erläßt keine Sozialmaßnahmen, um diese Probleme sozial abzufedern.
Da sich Kambodscha derzeit in einem militärischen Grenzkonflikt mit Thailand um den Tempel Preah Vihear befindet, dürfte dies auch in Wählerstimmen für die CPP zu Buche geschlagen sein, da bei diesem Konflikt mit einem „auswärtigen Feind“ die Wähler ihrer Regierung offenbar den Rücken stärken wollten.
Obwohl die Wahlen von den internationalen Wahlbeobachtern „weitgehend als frei und fair“ bezeichnet wurden, kann durch die Ausnutzung des CPP-Einflusses auf die Medien, Wahl- und Sicherheitsbeamten und durch Einschüchterung der Wähler davon nicht die Rede sein.
Die Volkspartei erhielt bei der Wahl 2008 nun 58,11% und 80 der 123 Parlamentssitze.

Jahrelang als zweite politische Kraft im Lande galt die Vereinigte Nationale Front für ein unabhängiges, neutrales, friedliches und solidarisches Kambodscha, kurz FUNCINPEC.
Die Partei, die sich zur Monarchie bekennt, wurde 1981 von Norodom Sihanouk gegründet. Ihr militärischer Arm kämpfte während des Bürgerkrieges gemeinsam mit Republikanern und Roten Khmer gegen die vietnamesischen Invasoren. Norodom Sihanouk, ein direkter Nachfahre der Gottkönige von Angkor, gilt den Kambodschanern als „Vater der Nation“ und Kämpfer für die Unabhängigkeit des Landes. Seit 1941 als jugendlicher König, seit 1955 als Premierminister und seit 1960 als Staatspräsident führte er Kambodscha bis zu seinem, von der CIA eingefädelten Sturz 1970 auf dem Pfad der Neutralität friedlich durch die Kriege und gewalttätigen Wirren Indochinas.
Die Wahlen von 1993 beendeten den Bürgerkrieg endgültig, die FUNCINPEC ging überraschend mit 45,5% gegenüber der CPP mit 38,2% als Sieger hervor. Hun Sen wollte den Machtverlust aber nicht akzeptieren und drohte, den Bürgerkrieg wieder aufflammen zu lassen. Hier kam wieder die Zeit für einen von Sihanouks überraschenden Kompromissen. Der Ex-Monarch erklärte sich kurzerhand wieder zum König mit nur noch repräsentativen Vollmachten, ernannten seinen Sohn Norodom Ranariddh, der die FUNCINPEC mittlerweile führte, zum 1. Premierminister und Hun Sen zum gleichberechtigten 2. Premier. Rettete diese Lösung damals den Frieden, so führte sie letztlich in die Sackgasse. Der Konflikt zwischen den beiden Streithähnen war vorprogrammiert. Der skrupellose Hun Sen baute seine Leibwache zu einer eigenen kleinen Armee aus. Ranariddh, statt sich strikt an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu halten, ließ sich auf ein Wettrüsten mit ihm ein. Beide Premiers beschuldigten sich gegenseitig, einen Putsch zu planen. Hun Sen schlug 1997 als erster zu und entmachtete Ranariddh in einem blutigen Putsch. Einige Tage leisteten FUNCINPEC-loyale Truppen Widerstand, dann zogen sich ihre letzten Reste in den Urwald zurück.
Seit diesem Putsch ist die FUNCINPEC immer stärker unter den Einfluß der CPP geraten. Hun Sen setzte durch, daß die Koalition auch nach dem Putsch weitergeführt wurde und der folgsame Außenminister Ung Huot von der FUNCINPEC Ranariddhs Platz einnahm. Auch wenn der Prinz einige Zeit später wieder ins Land zurück durfte und sogar als Parlamentspräsident amtierte, war die FUCINPEC zur Geisel der CPP geworden. Sie konnte in der Koalition kein Profil gewinnen und wurde von Hun Sen als Sündenbock benutzt für die Fehler und unpopulären Entscheidungen der gemeinsamen Regierung. Der schwerkranke König Sihanouk, der sich aus seiner Partei längst zurückgezogen hatte, um die Neutralität des Königstitels nicht zu beschädigen, schaute dem Parteiengeplänkel angewidert vom Krankenbett zu.
Hätte Ranariddh die Opposition gewählt, hätten er und seine Partei wieder riskiert, das Opfer von Gewalttätigkeiten und Repressionen zu werden (zahlreiche führende FUNCINPEC-Politiker wurden nach dem Putsch von 1997 ermordet). So war es für die Monarchisten nur recht und billig, in der Koalition zu verbleiben, denn es gab Pfründe zu verteilen und keinen Ärger mit dem Autokraten Hun Sen. Diesem Verhalten haben die Wähler nun die Quittung ausgestellt! Gewann die FUNCINPEC 1993 noch 58 Sitze und 1998 noch 43, so waren es 2003 nur noch 26 Mandate. Bei der jetzigen Wahl hat die Partei Hochrechnungen zu Folge mit etwas über 5% ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren und nur 2 Mandate erhalten. Die FUNCINPEC hat aber nichts daraus gelernt und erklärt, sie möchte die Koalition mit Hun Sen fortsetzen.

Norodom Sihanouk hatte inzwischen 2004 seinen letzten politischen Schachzug gemacht. Er dankte zu seinen Lebzeiten als König aus gesundheitlichen Gründen ab, was die Verfassung eigentlich überhaupt nicht vorsieht und schlug seinen ältesten Sohn, Kambodschas UNESCO-Botschafter Norodom Sihamoni, als seinen Nachfolger vor. Zuvor hatte Rananriddh zwecks Verbleibs in der aktiven Politik auf einen Thronanspruch verzichtet. Hun Sen, der in Wutausbrüchen immer wieder damit gedroht hatte, die ihm lästige Krone abzuschaffen, akzeptierte dies. Ein öffentlicher Widerspruch zu Staatsgründer Sihanouk wäre undenkbar gewesen und hätte große Unruhe in der Bevölkerung hervorgerufen. Mit der Regelung seiner Nachfolge zu seinen Lebzeiten hat Sihanouk die Vorraussetzung für das Überleben der Monarchie geschaffen, zumal der „politisch einzige international vorzeigbare Kambodschaner“ (Sihanouk über Sihanouk) seinem unerfahrenen Sohn und Nachfolger inoffiziell als Ratgeber zur Verfügung steht.

Zwei Feststellungen sind hierbei zu treffen: zum einen scheint die FUNCINPEC aufgrund ihrer völligen Profillosigkeit nur noch gewählt wurden zu sein, weil sie irgendwann ja einmal von Norodom Sihanouk, dem alles verehrten Vater der Unabhängigkeit gegründet wurde – also aus Loyalität. Zweitens: Unter Rananriddh hat die Partei als Hauptinhalt das Bekenntnis zur Monarchie propagiert. Diese wird von der Masse der Kambodschaner ja auch gewünscht. Als sich immer mehr herausstellte, daß die Monarchie auch von den CPP-Genossen mehrheitlich nicht mehr in Frage gestellt wird, wandten sich nun viele FUNCINPEC-Wähler anderen Parteien zu. Eine dieser Gruppierungen ist die Sam-Rainsy-Partei (SRP).

Sam Rainsy war unter dem ersten Premier Norodom Ranariddh zu Beginn der 90iger Jahre Finanzminister und FUNCINPEC-Mitglied. Als radikaler Kämpfer gegen Korruption zog er sich allerdings den Zorn einflußreicher Parteifreunde zu. Er gründete daraufhin die Khmer Nation Party, die später umbenannt wurde und heute seinen eigenen Namen trägt. Die größtenteils neoliberal ausgerichtete SRP erhielt bei den Wahlen im Juli 29 Mandate und wurde somit erstmals zweitstärkste Kraft im Parlament.

Nachdem die Hun Sen weitgehend gefügige Justiz ein Verfahren wegen „Korruption“ gegen Prinz Ranariddh angestrengt hat, ließ die FUNCINPEC ihren Vorsitzenden aus der Partei ausschließen. Der Vorwurf der Korruption ist in Kambodscha ein gängiges Mittel um politische Gegner mundtot zu machen, nachdem der noch vor ein paar Jahren beliebte Vorwurf, mit den Resten der Roten Khmer unter einer Decke zu stecken, nach deren Zerschlagung nun nicht mehr brauchbar ist. In der FUNCINPEC war der Prinz wegen seines selbstherrlichen Stils offenbar nicht unumstritten. Seinen parteiinternen Rivalen kam die Anklage nur zu gelegen. Ob an den Vorwürfen gegen Ranariddh wirklich etwas dran ist, werden Prozeß und Urteil kaum zeigen. Die kambodschanische Justiz kann nicht als politisch neutral betrachtet werden. Viel mehr ist eigentlich die Vetternwirtschaft im Dunstkreis der CPP zu finden, die aufgrund ihrer Machtposition die besten Pfründe zu vergeben hat.

Prinz Ranariddh schloß sich nach seinem Rausschmiß einer Splittergruppe, der Khmer Front Party (KFP) an, die ihn zu ihrem Vorsitzenden wählte. Kurz darauf wurde die Gruppierung in Norodom-Ranariddh-Partei (NRP) umbenannt. Aufgrund der Popularität des Prinzen konnte diese Partei erstmals mit zwei Abgeordneten ins Parlament einziehen. Auch ihre Kandidatur dürfte den Stimmenanteil für die FUNCINPEC nahezu halbiert haben, worin ein zusätzlicher Grund für das schlechte Abschneiden der Monarchistenpartei zu sehen ist. Die kleine NRP hat sogar insgesamt mehr Stimmen bekommen als die FUNCINPEC.

Beide Oppositionskräfte, sowohl die SRP, als auch die NRP, leiden an dem Konstruktionsfehler, daß sie ausschließlich auf ihre Parteiführer zugeschnitten sind. Sollten diese Personen von Hun Sen aus dem Verkehr gezogen werden, so dürften die Parteien in eine schwere Krise geraten. So mußte Sam Rainsy bereits das Land verlassen, weil Hun Sen ihm den Prozeß machen ließ wegen Verleumdung des Regierungschefs. Kurz darauf amnestierte ihn aber der neue König Sihamoni und er konnte nach Kambodscha zurückkehren.

Diesen Problemen will die Menschenrechtspartei (HRP) des charismatischen Oppositionellen Kem Sokha entgegenwirken und betreibt weniger Personenkult um ihren Führer. Der HRP gelang erstmals mit drei Mandaten der Sprung ins Parlament.

Sechs weitere Parteien traten außer den genannten noch zur Wahl an. Von diesen gelang es aber keiner in das Parlament einzuziehen. Außer der League for Democratic Party blieben alle unter 1% der Wählerstimmen.

Sowohl die SRP, als auch die FUNCINPEC, die NRP und die Menschenrechtspartei erklärten nach der Wahl, daß sie das Ergebnis nicht anerkennen werden, da es aufgrund von Manipulationen zu Stande gekommen ist und unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung. Doch kurz darauf erklärte die FUNCINPEC, die Koalition mit der CPP fortzusetzen.
Zwei Tage nach der Wahl wurde das „Korruptionsverfahren“ gegen Ranariddh wieder aufgenommen und der Prinz wurde rechtskräftig verurteilt. Inzwischen soll er sich ohnehin wieder einmal im Exil aufhalten. Seine Rückkehr nach Kambodscha und somit auf die politische Bühne dürfte daher fraglich sein. Damit fällt die NRP als politische Kraft im Parlament fast schon wieder aus.

Viele Parteien sind im Nachkriegskambodscha seit 1993 gekommen und gegangen. Man denke da an die Buddhistische Liberal-Demokratische Partei (BLDP) von Son Sann, einem Ex-Premier des us-freundlichen Militärdiktators Lon Nol (1970-75) oder die rechtsnationale Molinaka von Prum Neakareach, die ebenfalls einmal im Parlament saßen. Doch die CPP und die FUNCINPEC galten immer als Konstante dieses wechselvollen Parteiensystems. Mit dem Niedergang der Monarchisten werden die politischen Karten neugemischt.



Kay Hanisch