Irisches EU-Referendum

Irland bremst EU-Diktatur

Die irischen Wähler haben den EU-Vertrag abgelehnt und die europäischen Staaten so vor einer EU-Diktatur der Bürokraten und Konzerne bewahrt – vorerst! Denn die Anhänger des sogenannten „Vertrages von Lissabon“ werden so schnell nicht aufgeben und weiter an ihrem autoritären Konzept arbeiten, wie die Aussagen deutscher und europäischer Spitzenpolitiker zeigen. Die deutschen Medien üben sich schon in Propaganda.

Mit 53,4% haben die irischen Bürger den EU-Vertrag abgelehnt, ein Dokument, daß die EU-Staaten zu fortwährender militärischer Aufrüstung verpflichtet und das neoliberale Wirtschaftsmodell für immer und ewig als für alle EU-Länder bindend festgeschrieben hätte. Zahlreiche irische Oppositionsgruppierungen und zivilgesellschaftliche Bewegungen hatten gegen den Vertrag rebelliert. Sowohl die Friedensbewegung, als auch Basisdemokraten, kirchliche Gruppen, die Irische Allianz für Frieden und Neutralität, linke und national orientierte Demokraten, die Sozialistische Arbeiterpartei (SWP), abtrünnige Grüne usw. wehrten sich dagegen, daß die Inselrepublik von einem Europa der Konzerninteressen und des Militarismus vereinnahmt wurde. Großen Anteil an der erfolgreichen „Vote-No“-Kampagne haben die links-republikanische Partei Sinn Féin (auf deutsch: „Wir selbst“) und der EU-kritische Dachverband Libertas des Multi-Millionärs Declan Ganley.
Während Sinn Féin im britischen Nordirland, wo sie lange Zeit als politisch mit der Untergrundarmee IRA verbunden galt, zweitstärkste Kraft im Parlament ist und heute mit ihren protestantischen Erzfeinden von einst eine Koalition bildet, ist die Partei in der Republik Irland keine große Nummer und hält nur vier von 166 Parlamentssitzen. Der erfolgreiche Kampf gegen den EU-Vertrag hat die Partei aber gestärkt und ihre Umfragewerte nach oben schnellen lassen. Als Gastredner warf sich auch Gerry Adams, der populäre Präsident von Sinn Féin aus Nordirland in die Schlacht.
Die Gegner des EU-Vertrages wurden von Anfang an verleumdet. Sie würden Falschinformationen verbreiten hieß es, wenn sie auf die antidemokratischen Elemente des Vertrages aufmerksam machten. Sie wurden als „Linksextremisten“, „Nationalisten“ oder „rechts-katholische Abtreibungsgegner“ bezeichnet. Der Libertas-Gründer Declan Ganley, der eine us-amerikanische Ehefrau hat, wurde als „CIA-Agent“ hingestellt. All diese Beschuldigungen zeigen, daß es die neoliberalen Fanatiker von vornherein schwer hatten, mit wirklichen Argumente die Bedenken der Vertragsgegner zu entkräften. Bei Gerry Adams Vortrag in Dublin warf ein Politiker der Regierungspartei Fianna Fáil (zu deutsch: „Soldaten des Schicksals“) Adams nicht näher definierte „Ungereimtheiten“ vor, ohne dann zu erklären, was denn an Adams Argumenten nicht stimme.
Eine „übergroße“ Koalition von Regierungsparteien und Opposition im Parlament unterstützten den EU-Vertrag. Sowohl die konservativ-nationale Fianna Fáil, die von Irlands Unabhängigkeitshelden Eamon de Valera (Premier zwischen 1932-59, Staatspräsident von 1959-73) gegründet wurde, als auch ihr Gegenstück und schärfster Konkurrent, die christdemokratisch-konservative Fine Gael („Familie der Iren“) trommelten massiv für den Lissabonvertrag. Auch die sozialdemokratische Labour-Party und die in die Koalition mit der Fianna Fáil eingebundenen rechtsliberalen „Progressiven Demokraten“ und Grünen unterstützten die „Yes“-Kampagne, wobei sich aber bei den Grünen viele Basisgruppen gegen den EU-Vertrag wandten und in offenen Widerspruch zu ihrer Parteiführung gingen.

Die Iren hatten an vieles gedacht: sie hatten Angela Merkel einfliegen lassen (im Ausland ohnehin beliebter als in Deutschland), die kräftig für den EU-Vertrag geworben hatte und sie hatten den von Korruptionsskandalen umwitterten Premier Bertie Ahern abgelöst und durch den Ex- Finanzminister Brian Cowen ersetzt, um zu verhindern, daß die Abstimmung zu einem Referendum über die politische Zukunft des zunehmend unbeliebten Ahern wird.

Schon kurz nach dem Sieg der kritischen Demokraten bei dem Referendum, begann die Propaganda-Maschine der Neoliberalen anzulaufen. Irland wurde von Spitzenpolitikern des Festlandes abgebürstet, als wäre es kein vollwertiges EU-Mitglied, sondern ein dummer Junge. Der CDU-Europaabgeordnete Elma Brok kritisierte den Ausgang der Abstimmung und regte ein neues irisches Referendum für 2009 an. Offenbar sollen die Iren so lange abstimmen, bis den Herrschenden das Ergebnis gefällt. Leute, mit dem Demokratieverständnis eines Elmar Brok sind in der CDU aber keine Seltenheit, da die Partei Volksentscheide grundsätzlich ablehnt.
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will trotz der Ablehnung den Ratifizierungsprozess
weiterlaufen lassen und nimmt offenbar in Kauf, daß das EU-Mitglied Irland bei wichtigen Entscheidungen außen vor bleibt. Kurz vor dem Referendum, als erstmals deutliche wurde, daß die Gegner des EU-Vertrages gewinnen könnten, verschob die französische Regierung eine Parlamentsdebatte über die Ziele ihrer EU-Ratspräsidentschaft. Wären diese wirklich so progressiv und demokratisch hätte es dafür keine Notwendigkeit gegeben.
Mittlerweile spricht man offiziell vom „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, bei dem „Querulanten“ wie Irland in der Ecke stehen sollen, während die Musterschüler weiter Europa auf die Interessen der Konzerne zustutzen.
Der neueste raffinierte Schachzug des derzeitigen EU-Ratspräsidenten Sarkozy: er schlägt den Iren ein neues Referendum vor, in dem neben dem EU-Vertrag auch gleichzeitig über den EU-Beitritt Kroatiens abgestimmt werden soll. Sarkozy hofft, daß die Iren bei aller Kritik am Vertrag ein neues EU-Mitglied nicht vor der Tür stehen lassen werden. Zynischer geht es kaum!

Noch vor der Abstimmung in den europäischen Medien verbreitet wurde, die oben genannten „Yes“-Parteien und die mit ihnen verbündeten Gewerkschaften und großen Bauernverbände würden 90% der Bevölkerung repräsentieren. Das Wahlergebnis sagt aber etwas völlig anderes.

Die Regierenden Irlands wurden nun unter Druck gesetzt. Man verlange, zu wissen, wie es mit der „Reform“ der EU nun weiter gehen solle, ließen europäische Spitzenpolitiker verlauten. Der irische Außenminister Michéal Martin forderte kleinlaut beim kurz darauf stattfindenden EU-Außenministertreffen „Respekt“ für die Entscheidung seiner Landsleute.
Das irische „No“ hat offenbar Politiker in der EU beflügelt, ihre Skepsis zum EU-Vertrag öffentlicher zu Schau zu tragen, was sie sich vorher nicht getraut hatten.
Dimitris Christofias, Zyperns kommunistischer Staatspräsident von der Fortschrittspartei des werktätigen Volkes (AKEL), der erst in diesem Jahr gewählt wurde, rief auf, „ die Entscheidung eins ganzen Volkes nicht zu ignorieren“.
Tschechiens Präsident Vaclav Klaus, wirtschafts- und sozialpolitisch ein knallharter Neoliberaler, aber auch immer schon ein starker EU-Kritiker, reibt sich die Hände. Er sieht nun die Möglichkeit, daß er das Ratifizierungsgesetz zum Vertrag nicht unterzeichnen muß. Polens nationalkonservativer Präsident Lech Kaczynski, der in Sachen EU-Vertrag bereits schon umgefallen war, vollzog eine Kehrtwendung und erklärte den Lissabon-Vertrag nach dem Referendum für „tot“. Auch der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat seine Unterschrift noch nicht unter das Gesetz zur Ratifizierung gesetzt. Bei Köhler liegt es aber wohl nicht an seiner (nicht vorhandenen) EU-Skepsis, sondern an diversen Verfassungsklagen, die von der Partei DIE LINKE, dem CSU-MdB Peter Gauweiler, von dem Staatsrechtslehrer Prof. jur. Karl Albrecht Schachtschneider und vielen anderen eingereicht wurden.

Doch ein Grund zum Frohlocken für die Vertragsgegner ist dies alles nicht. Mit suggestiver Berichterstattung machen sich die Mainstream-Medien daran, weiter für den Vertrag zu werben. Die Iren hätten den Vertrag abgelehnt, weil sie ihn nicht verstanden hätten oder seinen glückverheißenden Inhalt gar nicht wirklich kennen, tönten große deutsche Tageszeitungen (suggeriert: alle die dagegen sind, sind dumm oder nicht gut informiert). Gleichzeitig haben die Medien kaum über die Inhalte des Vertrages informiert oder irgendwo unabhängige Diskussionen – gerade auch mit den Kritikern – gefördert.

Selbst der irische Premier Brian Cowen und sein EU-Kommissar Charlie McCreevy gaben öffentlich zu, den umfangreichen Vertrag nicht oder nicht vollständig gelesen zu haben. McCreevy sagte dem SPIEGEL, er habe sich nur mit einer Zusammenfassung begnügt.

Wenn also niemand von den verantwortlichen Regierungspolitikern Irlands den Vertrag kennt, wie kann die EU dann erwarten, daß das irische Volk dem Vertragswerk zustimmt?

Deutsche Medien erklärten, eine Umfrage im Auftrag des TV-Senders N24 würde belegen, daß 54% der Deutschen bei einer Volksabstimmung den EU-Vertrag unterstützen würden. Ebenfalls erklärten 70% der Befragten, sie wünschen sich, daß politische Entscheidungen wieder verstärkt von den Nationalstaaten und nationalen Parlamenten getroffen werden – doch eben das findet nach der Unterzeichnung des EU-Vertrages durch Deutschland nicht mehr statt. Nur 24% der Befragten befürworten eine Kompetenzverlagerung von Berlin nach Brüssel – doch eben dies findet nach der Vertragsratifizierung statt! Diese Umfrage zeigt, daß die Mehrheit der Bürger den Inhalt des Vertrages überhaupt nicht kennen – woher auch, wenn jede öffentliche Diskussion unterdrückt und Kritik totgeschwiegen wird?

Auch werden nun renommierte Persönlichkeiten mit einer Pro-EU-Einstellung in die Öffentlichkeit bemüht, um die Zustimmung der Bevölkerung zu erhöhen. In der ehemals alternativen „Tageszeitung“ taz, mittlerweile ein Leitmedium relativ unkritischer „Linksliberaler“, durfte am 27.6.2008 der Europarechtler Franz C. Mayer Stellung nehmen. Er schwärmt von den Vorzügen des Lissabon-Vertrages. So erklärt er, das europäische Parlament würde durch den Vertrag in der Innenpolitik ein viel größeres Mitspracherecht erhalten als bisher. Allerdings ist der bekannte deutsche und als seriös einzustufende Verein „Mehr Demokratie e.V.“ anderer Meinung. Er sagt, daß EU-Parlament habe als Parlament in Europa auch nach dem Vertrag weniger Rechte als der Bundestag in Deutschland.
Eine Kompetenzverlagerung von nationalen Parlamenten auf ein kastriertes, von Lobbyisten durchsetztes und für den Bürger schwerer zu überblickendes und zu kontrollierendes EU-Parlament kann also nicht mehr Demokratie bedeuten, sondern nur weniger. Auf diesen Halbwahrheiten baut die ganze Argumentation der „Lissabon“-Fanatiker auf.

Auf den Vorwurf des Neoliberalismus regieren sie mit der Tatsache, daß im Vertrag erstmals von einer „sozialen“ Marktwirtschaft die Rede ist. Das steht im deutschen Grundgesetz aber auch. Wenn die EU-Politiker sich so an den Vertragstext halten, wie deutsche Politiker an das Grundgesetz, dann kann man diesen Passus des Vertrages gleich unter Ulk verbuchen.
Interessant an diesem Interview ist allerdings, daß selbst Mayer zu gibt, daß die „Bundesrepublik keine volle Souveränität“ besitzt. Eine Unterhöhlung der Staatlichkeit wie von Peter Gauweiler befürchtet, sieht Mayer allerdings nicht, erklärt aber gleichzeitig, daß nach dem Vertrag keine einstimmigen Entscheidungen mehr in der EU notwendig wären, sondern Mehrheitsentscheidungen reichen. Das bedeutet nichts anderes, als daß Deutschland und eine Minderheit von anderen EU-Staaten überstimmt werden kann und daß die BRD Beschlüsse mittragen muß, die gegen ihre ureigensten Interessen gerichtet sind – wenn das kein Verlust von Staatlichkeit und Souveränität ist.

Für Demokraten kann es nur eine Vorgehensweise in Sachen EU-Vertrag geben: öffentliche Diskussion über den Inhalt und das Für und Wider des Vertrages und anschließend eine Volksabstimmung in jedem Nationalstaat, der dem Vertrag beitreten möchte.

Kay Hanisch 15.7.2008